Liebe Therapeuten, wußtet ihr schon…?

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Gladur im Wald

Mein Pony ist ein Isländer und der hat so einige Besonderheiten, wie ich selber rausfinden musste, da es leider keine Bedienungsanleitung dazugab. 🙂 Aber mittlerweile habe ich durchaus einiges gefunden, was die Beobachtungen auch fachlich untermauert und mich als mit Warmblütern großgewordener Zufalls-Isländer-Besitzer nicht mehr ratlos den Kopf kratzen lässt.

Und ziemlich eindeutig ist er nicht „anders“ weil es cool ist eine andere Rasse zu haben, sondern er unterscheidet sich in einigen Körperfunktionen tatsächlich sehr vom Standard Großpferd. Diese rassebedingten Unterschiede führen öfter mal zu Verwirrung oder Fehldeutung, wenn das Pony auf Therapeuten und Tierärzte trifft, die natürlich auch nicht allwissend sein können, aber tatsächlich oft diese durchaus wichtigen Besonderheiten nicht kennen.

Kühlsystem und Atmung:
Was ich beobachtet habe: Schon bei geringen Anstrengungen werden die Nüstern genau in dem Moment sehr weitgestellt, in dem man das Gefühl hat, Gladur wird gerade warm. Das Gleiche geschieht auch beim Dösen in der kräftigen Mittagssonne, ohne das sich das Pony überhaupt bewegt. Die Atemfrequenz ist bei kühlerem Wetter dabei nicht gleich mit erhöht. Offensichtlich wird die Nüster aktiv weitgestellt, um als Kühlunterstützung zu dienen.

Wird ihm noch etwas wärmer, steigt die Atemfrequenz zu einem deutlich sichtbaren schnellem Atem, der für sich allein genommen bei einem anderen Pferd auf Anstrengung deuten würde. Bei Gladur sind in diesem Moment keine weiteren Zeichen für Anstrengung präsent. Offensichtlich dient auch die schnellere Atmung zum Kühlen.

Beide Phänomene lassen sich deutlich beeinflussen, wenn er Teilgeschoren wird- damit erhöht man die Kühlleistung am Körper und somit kann er das Kühlen über die Atemwege verringern. Bei kaltem Wetter entspricht die Öffnung der Nüstern genau der Gangart und geleisteten Anstrengung, so wie man das von anderen Pferden kennt. Offensichtlich funktioniert die Wärmeregulation, wenn das Klima dem entspricht, wofür das Islandpferd gezielt selektiert wurde.
Nun muss man bei ihm immer noch bedenken, das er aufgrund der Lungenerkrankung diese Anzeichen vermutlich etwas deutlicher anzeigt. Aber, wie ich nach 1,5 Jahren des Händeringens und Sorgen nun mal endlich mutig sagen kann, das „Hecheln“ und/oder Nüsternblähen allein ist kein Anzeichen, das es mit der Lunge bergab geht, solange das Pony frei von Krankheitsanzeichen (Abgeschlagenheit, Unlust etc) froh und leistungsbereit ist. Es ist schlicht seine Methode sich selber zu kühlen.

Aber stimmt das auch? So wie es aussieht ja:
Hitzeregulierung bei Pferden und Sonderfall Isländer – ein Artikel bei Sportsfreund (Blog und Onlineshop für Abschwitzdecken)

Gladurs Ruhe-Atemfrequenz liegt bei ca. 24 Zügen pro Minute und geht einfach nicht runter- ja, äh, das muss sie auch gar nicht, wie man diesen Beiden wissenschaftlichen Veröffentlichungen entnehmen kann. Die ermittelten Ruheatemfrequenzen liegen hier für lungengesunde Islandpferde bei 18+/- 6 bzw. 23+/-2 Atemzüge pro Minute. Also keine Panik, wenn der Isländer „schnell“ atmet. Vergesst die 10-16 Züge des Warmblüters einfach.

Publikationen dazu:
Herz und Atemwerte in Ruhe und Belastung bei lungengesunden und lungenkranken Isländern- hier beschrieben in einer Dissertation

Und in der Berliner und Münchener Tierärztlichen Wochenschrift

Hätte ich mich also eher auf meinen bibliothekarischen Hintern gesetzt und statt Therapien und Symptomen mal das gesamte Feld zum Thema Lunge und Belastung recherchiert, dann hätte ich mir sicherlich ein paar graue Haare sparen können. Aber wie heißt es so schön? Besser spät als nie.

Gangwerk und darausfolgende Gebäudemerkmale/ Bemuskelung /Bewegungsabläufe etc.
Meine Beobachtung: Schon seit ich ihn das erste Mal laufen sah, ist mir aufgefallen, das sich sein Bewegungsablauf vom gewohnten Bild in meinem Kopf unterscheidet. Das ist auch kein Wunder, er ist Viergänger, irgendwo dran muss man das ja sehen. Auch wenn er einen sehr sportlichen Trab zeigen kann, der sich hinter einem Reitpony nicht verstecken muss, wenn er entsprechend motiviert ist. 🙂

Was aber anders war, das war der generell festere Rücken, besonders im Lendenbereich und die Tatsache, das er generell seine Sprunggelenke kaum beugt, was in der Bewegung immer so ein bißchen an einen Schlittschuhläufer erinnert. Außerdem bringt er kaum durchgehend Schub nach vorne und nimmt nicht wie erwartet zum Anschieben Last auf. Dies wurde auch stets von Osteopathen und Physiotherapeutin bemängelt.

Zum festeren Rücken und der „fehlenden Schubübertragung“ habe ich folgendes gefunden:

In dem Buch (Leseempfehlung!!) Barbara Welter-Böller; Claudia Weingand: Einmal überbaut, immer überbaut? Exterieuranalyse und Tipps zum Pferdetraining steht auf S.106/107 sinngemäß, das die Selektion des Isländers auf Geländegängigkeit auf den schwierigen Böden Islands und der Entwicklung der zwei zusätzlichen Gangarten Tölt und Pass, dazugeführt hat, das sich das Islandpferd deutlich anders bewegt, als ein Pferd, das für weniger schwierige Böden gezüchtet wird. Der Isländer hat eine hohe Schrittfrequenz, da er auf wegrollenden Steinen und glatten Untergründen keine langen Schritte machen kann. Um hierbei stabil zu bleiben und vorwärts zukommen. zieht sich der Isländer eher über die Schulter und die Hinterhand stabilisiert und liefert nur kurze Schubimpulse. Um die Wirbelsäule dabei auch in hohem Tempo stabil zu halten, muss der Isländer sich im lumbosacralen Bereich stark beugen und diesen Bereich so quasi „feststellen“. Voilá – die fehlende Schubübertragung.

Zu der gestreckten Haltung der Sprunggelenke bin ich noch am Forschen. Ich habe aber einen Artikel zum Thema Trageerschöpfung und darin eine Erklärung gefunden, wie diese Haltung verursacht werden kann. Ich könnte mir vorstellen, das dies bei ihm zu einer angewöhnten Haltung geworden ist, auch wenn es schon lange keinen direkten Auslöser für eine Trageerschöpfung mehr gibt. Diese Idee liegt nahe, da er auch immer noch immer wieder eine verschleißende Haltung anbietet, wenn man ihn nicht ganz behutsam aufnimmt. Er hat anscheinend zum Thema Arbeit eine gewisse äußere Form verinnerlicht, die es ihm geduldig wieder abzugewöhnen gilt, in dem man ihm den Weg in eine gesündere Haltung vorschlägt und immer wieder anbietet und ermutigt.

Die Sprunggelenke zeigten im Röntgen (auf den letzten Bildern mit drauf gewesen) keine Veränderung und sind auch bei Überprüfung durch Tierarzt/Osteopath/Physio immer vollbeweglich und schmerzfrei gewesen. Deshalb vermute ich die Ursache der Haltung nicht in den Gelenken selber.

Der Artikel zur Trageerschöpfung

Ich muss ja immer alles einmal aus berufenem Munde bestätigt kriegen oder es wie hier selber hieb- und stichfest recherchieren, um mich mit Erkenntnissen sicher zu fühlen *g*, aber nachdem dies nun erledigt ist, kann ich dann auch einfach mal ganz praktisch auf Nele hören und mich im Loslassen üben.

Bißchen optimieren kann und soll man natürlich immer, vorallem da die zwei Hinterhandverletzungen fast die gesamte vorhergehende Arbeit wieder zunichte gemacht haben, aber im großen und Ganzen kann ich wirklich sagen: Er ist ok so, wie er ist. Er ist in den vier Jahren mit mir weit gekommen und sogar die Gesundheit hat sich in einem Maß stabilisiert, über das ich immer noch staune. In diesem Sinne:

I am not perfect but I have a freaking awesome horse
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